Zwischen Himmel und Erde – Flughafenseelsorge an Norddeutschlands größtem Airport in Hamburg-Fuhlsbüttel

Blick in die ökomenische Flughafenkapelle am Airport Hamburg. Foto: C. Schumann, 2019
Blick in die ökomenische Flughafenkapelle am Airport Hamburg. Foto: C. Schumann, 2019

REPORTAGE Hamburg. Johannes Peter Paul arbeitet zwischen Himmel und Erde. Und das gleich im doppelten Sinn. Der Pfarrer mit dem biblischen Namen kümmert sich nicht nur um die Verbindung zwischen Welt und „oben“. Der Katholik hat seinen Einsatzort auch noch an einem mehr als passenden Ort – dem Flughafen in Hamburg. Seit letztem Jahr ist der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Geistliche zusammen mit seinem evangelischen Kollegen Björn Kranefuß geistlicher Ansprechpartner für Reisende und Mitarbeiter von Norddeutschlands größtem Airport.

 

„Das hier ist ein wahnsinniger Ort. Wahnsinnig vielfältig und wahsinnig spannend. Und voller Geschichten“, sagt Flughafenseelsorger Paul, der von seinem Büro im ersten Stock einen freien Blick auf den Eincheckbereich im Terminal 1 des Hamburg Airport Helmut Schmidt hat. Während unten in einem scheinbar endlosen Strom Fluggäste ankommen, kurz Orientierung an Anschlagtafeln oder am Infopoint suchen, ihre Koffer aufgeben und meist möglichst schnell zum Sicherheitsbereich weiterstreben, herrscht im Raum von Paul eine kontrastreiche Ruhe. Kreuz, Bibel sowie ein kleiner Bilderfries mit Motiven des Propheten Elia, Edith Stein, Therese von Lisieux und Theresa von Àvila erinnern an das, worum es dem Theologen Paul geht: einen ruhenden Pol zu setzen sowie Hilfe und Unterstützung zu bieten. „Wir Flughafenpastoren sind Ansprechpartner für Urlauber, die von uns vor dem Abflug noch einen einen Segen wünschen. Manche möchten sich auch nach der Rückkehr etwas von der Seele reden“, erzählt Paul, der vor seiner Zeit in Hamburg-Fuhlsbüttel fast zwanzig Jahre lang die Gemeinde St. Bonifatius in Eimsbüttel geleitet hat. Zwei Aufgaben die ähnlich wirken und doch völlig verschieden seien, so Paul, dessen Dienst direkt an das Generalvikariat Pastorale Dienststelle beim Erzbistum unterstellt ist.

 

Stadt in der Stadt

„Denn der Flughafen ist eine Stadt in der Stadt“, so der bescheiden wirkende Geistliche. „Hier begegnen sich nicht nur rund achtzehn Millionen Passagiere im Jahr – es kommen ja auch noch acht Millionen Besucher, etwa um Angehörige zu bringen oder abzuholen“, weiß Paul, der nach seinem Studium 1977 in Erfurt in Mecklenburg zum Priester geweiht wurde. Und dann sind da auch noch rund 15.000 Mitarbeiter am Airport selbst oder bei den verschiedensten Dienstleistern, bei Polizei, Bundespolizei oder Deutschen Rotem Kreuz. Eine bunte, internationale Vielfalt von Berufen und Menschen. „Hier fängst du nicht bei Null an, sondern du fängst unter Null an“, skizziert Paul seinen Einsatzort. „Darum bin ich sowohl an meinem Schreibtisch bei theologischen Gesprächen, aber ich bin auch viel im Terminal und gehe aktiv auf Menschen zu, um in den verschiedensten Bereichen vorbeizuschauen.“ So ergäben sich meist ganz schnell Kontakte und Gespräche. „Ich sehe meine Aufgabe im Einvernehmen mit Papst Franziskus, der sagt: Geht an die Ränder“, so Paul, der immer nachmittags von Dienstag bis Freitag am Flughafen präsent ist und sich die Tagesarbeit mit seinem evangelischen Kollegen teilt.

An Sonntagen aber sind beide oft gemeinsam anwesend, um in der kleinen Flughafenkapelle mit Platz für maximal fünfzig Personen zusätzlich zu den katholischen Eucharistiefeiern, die Paul seit 2018 hält, auch ökumenische Gottesdienste oder Vespern zu halten. „Jeder Besuch freut mich“, sagt der engagierte Johannes Peter Paul, „denn wir möchten hier eine kleine, feste Gemeinde aufbauen.“ Auch an Wochentagen wird der täglich von sechs bis 22 Uhr geöffnete Andachtsraum regelmäßig besucht, von Gläubigen aller Religionen ebenso wie von Konfessionslosen, die sich nach einem Moment der Stille sehnen. Von Flughafen-MitarbeiterInnen während einer kurzen Pause wie vom Bischof aus Amman in Jordanien, der kürzlich vor dem Abflug in die Heimat zufällig den Weg hierher fand, erinnert sich Paul. Auf Wunsch stehen die beiden Flughafenseelsorger aber hier auch zu Gesprächen bereit. Taufen oder Trauungen können ebenfalls stattfinden. „Tatsächlich habe ich sogar schon einmal eine Stewardess und einen Flugkapitän getraut“, erinnert sich Paul. „Das war allerdings nicht am Airport, sondern in Blankenese. Aber ich bin sicher, das war nicht das letzte Mal.“

Körperliche und seelische Krisensituationen

Denn Alltag der Seelsorger aber prägen mal kleinere, mal größere Ausnahmen- und Krisensituationen. „Nicht selten stranden Passagiere in Hamburg, ohne zu wissen, wie sie weiterkommen oder wo sie übernachten sollen, wenn kein Weiterkommen mehr möglich ist“, berichtet Paul. „Oder es gibt Verletzungen oder Notfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle.“ Vor einigen Wochen habe eine Frau aus Afrika beispielsweise dringend nach medizinischer Hilfe verlangt und „ich habe ihr den Weg zum Sanitäts- und Rettungsdienst des DRK gezeigt“. Kürzlich sei auch ein Jugendlicher, der zur medizinischen Untersuchungen in die Hansestadt wollte, am Flughafen verstorben. Noch wichtiger aber sei die seelische Betreuung von Angehörigen in Todesfällen, die nicht so selten seien wie Außenstehende vermuten. „Meist handelt es sich um ältere Reisende“, sagt der engagierte Paul, der neben seiner Tätigkeit am Airport auch in der theologischen Weiterbildung aktiv ist. „Neulich etwa ist ein Mann aus Ukraine beim Umsteigen verstorben. Ein solcher Moment reißt Mitreisende wie Familie plötzlich völlig aus ihrer Bahn“, so Paul.

 

Reist der Flughafenpfarrer eigentlich gern selbst? „Ja“, gesteht Johannes Peter Paul, „ich war schon auf fast allen Kontinenten.“ Auch angesprochen auf den Unterschied zwischen der Arbeit in einer ›normalen“ Gemeinde und dem Einsatzort Airport muss der Geistliche nicht lange überlegen: „Die Begegnungen sind flüchtiger, wenn auch oft nicht weniger intensiv. Andererseits halten die zahlreichen Begegnungen jung – man muss geistig und geistlich beweglich bleiben. Die Sehnsucht nach Beziehungen auf Augenhöhe wächst.“

 

Menschen in Ausnahmesituationen

Wie für Paul ist auch für Björn Kranefuß die Arbeit als Flughafenseelsorger nicht Beruf, sondern Berufung. Schon seit 19 Jahren ist der evangelische Pastor am Airport im Einsatz und doch ist für den 60-Jährigen immer noch jeder Tag anders: „Der Flughafen ist ein spannender Ort, an dem sich religiöse Themen wie unter einem Brennglas bündeln: Sehnsüchte, Ängste, Erwartungen, Hoffnung und viele andere. Wer reist bzw. fliegt bewegt sich zwischen Himmel und Erde – nicht jeder tut dies jeden Tag. Darum begleiten wir Menschen in Situationen, die für sie in der Regel Ausnahmesituationen sind.“ Kernaufgaben seien darum Hilfestellung und Gastfreundschaft, die sich auch in kleinen Symbolen wie dem Andachtsraum zeige, der allen Menschen mit und ohne Region offen stehe. „Unser Flughafen ist ein Schmelztiegel von Religionen und Kulturen“, sagt der bei der Nordkirche angestellte Pastor, der im NDR Radio auch mit Andachten zum Thema Flughafen zu hören ist.

Notfallseelsorge und dramatische Begebenheiten hat Kranefuß in den fast zwei Jahrzehnten seiner Tätigkeit viele erlebt, ob familiäre Krankheits- oder Todesfälle. „Einen Krankenwagen sieht man am Airport jeden Tag“, weiß der im nahen Alsterdorf Wohnende, der aber auch jene Menschen im Blick hat, die bleiben: „Obdach- und Wohnungslose sehen den Flughafen als öffentlichen Ort nicht selten auch als Anlaufstelle, weil sie sich hier an den Terminals aufhalten können. Sie müssen auch betreut und versorgt werden.“ Erst vor wenigen Tagen habe er einen verzweifelten Anruf eines Mannes erhalten, der seine Wohnung verloren hatte. „Er brauchte praktische Hilfe, auch wenn der Fall gar nicht mit dem Flughafen zusammenhängt. Aber als Seelsorger sind wir für jedermann leicht auffindbar und weisen niemanden ab. Fälle wie dieser zeigen, dass der Flughafen eine Art Projekt ist.“

 

Stichwort Flugscham

Kranefuß weist gleichzeitig auf einen weiteren Aspekt hin: Zunehmen kristallisierten sich rund ums Fliegen ethische Themen. „Da ist zum einen das Fliegen als menschliche Möglichkeit und Chance. Eine Chance der weltweiten Begegnung.“ Doch gerade die Globalisierung zeige seit einigen Jahren auch Schattenseiten. Auch das Thema Fliegen und Umwelt bzw. Umweltschutz gewinne an Bedeutung: „Nicht alle, aber viele Reisende machen sich heute Gedanken über die Auswirkungen ihrer Art zu reisen – Stichwort: Flugscham.“ Darum sei er überzeugt, dass in den kommenden Jahren Aufgaben und Verantwortung der Flughafenseelsorge eher mehr als weniger werden.

Das Terminal 1 am Flughafen Hamburg - Gäste beim Einchecken. Foto: C. Schumann, 2019
Das Terminal 1 am Flughafen Hamburg - Gäste beim Einchecken. Foto: C. Schumann, 2019

HINTERGRUND

 

Seelsorge und Tipps zum Sommer am Hamburg Airport

Wer mehr über das seelsorgerische Angebot am Flughafen Hamburg wissen möchte und aktuelle Hinweise auf Gottesdienste, Andachten oder andere Veranstaltungen wie Einkehrtage wissen möchte, findet diese auf www.hamburg-airport.de/media/Seelsorgeangebot.pdf und www.hamburg-airport.de/de/andachtsraeume.php.

 

Der Flughafen Hamburg in Zahlen

Rund 60 Airlines verbinden Hamburg mit etwa 130 nationalen und internationalen Zielen direkt. Das letzte Geschäftsjahr war für Norddeutschlands größten Flughafen von Schwierigkeiten wie Flugstreichungen und Verspätungen im Sommer geprägt. Die Folge waren sinkende Passagierzahlen. Airport-Chef Michael Eggenschwiler: „2018 war ein herausforderndes Jahr für Hamburg Airport: Die Reiselust der Norddeutschen war groß. Umso mehr waren Flugstreichungen und Verspätungen bei den Fluggesellschaften ein Problem. Dafür haben wir stark in den Passagierkomfort investiert: mit qualifiziertem Personal vor Ort sowie mit modernster Technologie, die den Passagieren einen echten Mehrwert bietet.“ Dazu gehören neben den genannten Gepäckautomaten u.a. auch modernisierte Sicherheitskontrollen.

Insgesamt verzeichnete der Flughafen 2018 einen Rückgang der Passagierzahlen (17,23 Mio. Fahrgäste, 2,2 Prozent weniger als 2017). Zusammen mit den neu getätigten Investitionen haben diese Entwicklungen auch die Bilanz 2018 beeinflusst: 2018 lag der Gewinn bei 36,1 Mio. Euro, im Vorjahreszeitraum waren es 46,6 Mio. Euro (-22,6 Prozent). Insgesamt 2.103 Beschäftigte zählte die Hamburg Airport Gruppe in 2018. Innerhalb der vergangenen drei Jahre wurden über 200 Arbeitsplätze geschaffen.

 

Stand: Sommer 2019