Glücksforscher Uwe Jensen aus Kiel zur Corona-Krise: „Wer engagiert und Teil einer Gemeinschaft ist, bleibt zuversichtlicher“

Der Kieler Mathematikprofessor Uwe Jensen forscht zu Glück und Zufriedenheit. Foto: privat
Der Kieler Mathematikprofessor Uwe Jensen forscht zu Glück und Zufriedenheit. Foto: privat

INTERVIEW Kiel. Der Kieler Mathematiker Uwe Jensen ist einer der führenden Glücksforscher des Landes. An der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität forscht der 61-jährige Professor seit vielen Jahren zu den Themen Zufriedenheit und Zuversicht. Die gegenwärtige Corona-Krise sei eine Gelegenheit zum Nach- und Neudenken sowie zur Wiederentdeckung von Qualitäten wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Denn Geld und Konsum allein mache nicht glücklich. Mit ihm habe ich gestern anlässlich der Coronavirus-Krise gesprochen.

 

Meine erste Frage: Herr Professor Jensen, die Schleswig-Holsteiner gehören in Umfragen seit vielen Jahren zu den glücklichsten Menschen in Deutschland. Ändert sich dies in diesen Tagen?

Uwe Jensen: Das glaube ich nicht. Allerdings spreche ich lieber von Zufriedenheit als von Glück. Und wer zufrieden ist, sieht immer ein Glas, das halb voll ist – und nicht halb leer.

Optimismus hilft also, auch in Wochen wie diesen?

Davon bin ich überzeugt. Wobei man sagen muss, dass rund fünfzig Prozent unserer Zufriedenheit durch unsere Gene erklärbar sind. Zehn Prozent erklären wir durch das sogenannten Tagesglück: Wenn es regnet, ist man vielleicht antriebsloser. Und ein unverhofft unterbreitetes Jobangebot stärkt das Selbstbewusstsein, auch wenn man es nicht annehmen möchte. Weitere zwanzig Prozent entfallen auf die Lebensverhältnisse wie Gesundheit, Alter, Einkommen oder Arbeit. Und natürlich ist man weniger zuversichtlich, wenn wie in diesen Tagen bei manchen Beschäftigten die Angst um den Arbeitsplatz zunimmt.

 

Und die übrigen zwanzig Prozent?

Die sind zurzeit die wichtigsten, glaube ich. Denn das sind Aktivitäten, für die ich mich bewusst entscheide. Dazu gehören enge soziale Beziehungen etwa zu Familie und zu Freunden. Und dazu zählen auch Engagement und Ehrenämter. Wer sich bewusst für Qualitäten wie diese entscheidet, geht zuversichtlicher in den Tag. Gerade in diesen Tagen sieht man dafür viele positive Beispiele: Alle, die älteren Nachbarn ihre Hilfe bei Einkauf oder anderen Erledigungen anbieten. Oder plötzlich freie Abende nutzen, um Freunde oder Verwandte anzurufen, die sie lange nicht gesprochen haben. Wer jetzt agiert und interagiert, fühlt sich nicht in einer Opferrolle, sondern als Handelnder. Das gilt im Übrigen auch im Arbeitsleben generell: Wer im Job mitentscheiden kann, ist glücklicher.

 

Und damit Teil eines Größeren ….

Ganz genau. Wichtig ist aber auch, dass mir dies ab und an jemand bestätigt. Deshalb finde ich es auch wichtig und richtig, dass Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache betont hat, dass es auf jeden Einzelnen von uns ankommt. Es geht um die Gemeinschaft – nur die macht zufrieden. Ob in der Firma, im Land oder weltweit.

 

Aber ohne Geld geht es ja auch nicht?

Selbstverständlich ist ein festes Einkommen die Grundlage. Aber wir wissen aus allen Untersuchungen, dass Geld und Konsum nicht glücklich machen. Noch ein Paar Schuhe oder ein weiteres T-Shirt machen nicht zufriedener. Freunde zu haben und sich einzubringen, beispielsweise in einem Verein, dagegen schon. Das ist zwar auch eine Frage der Persönlichkeit, aber wer sich aktiv fürs Engagement entscheidet, ist definitiv zufriedener. Und ganz sicher auch krisenfester. Hamsterkäufe, wie sie manche jetzt tätigen, machen auf jeden Fall nicht zufriedener. Wer zufrieden ist, ist zuversichtlicher und hamstert nicht. Schon gar nicht auf Kosten anderer.

 

Und was wird nach der Corona-Krise sein?

Eine Hoffnung, die ich habe, ist, dass wir zum stärkeren Nachdenken über die Zukunft angeregt werden. Welche Bedeutung haben beispielsweise globale Lieferketten – muss alles just in time laufen? Und können wir Effizienz und Kosteneinsparungen so weitertreiben wie bisher? Geld und Konsum allein machen nicht glücklich, das kann ich als Glücksforscher nur immer wieder betonen.

 

 

Copyright Interview: Christoph Schumann, Hamburg, März 2020. mobil 01711907821.