Auf kleiner Fahrt über den Elbe-Lübeck-Kanal - die Seilfähre Siebeneichen bei Büchen

Von Christoph Schumann

 

REPORTAGE. Siebeneichen (Kreis Herzogtum Lauenburg; cs). Die Schranke quietscht leicht, als Olaf Murnau (52; Name auf eigenen Wunsch geändert) die schwere Sicherung hebt, um neue Fahrgäste auf die „SF 74“ zu lassen. Ein halbes Dutzend Radfahrer und ein Auto warten in Fitzen auf die Überfahrt über den Elbe-Trave-Kanal. Unter den wachsamen Augen des hauptamtlichen Fährmanns Rainer Müller weist der werdende Kapitän, der noch in diesem Sommer sein Fährpatent ablegen möchte, die Passagiere auf die schwimmende Kanalüberquerung, die seit dem Bau der wichtigen Binnenschifffahrts-Verbindung zwischen Elbe und Ostsee im Jahr 1900 als Ersatz für eine einst hier im Herzogtum Lauenburg verlaufende Straße dient. „Vor allem für die Kinder im kleinen Fitzen war die damals noch handbetriebene Seilzugfähre wichtig“, erzählt der 38-jährige Müller, während Olaf Murnau die „SF 74“ (für Seilzugfähre) startklar macht: „In Fitzen wohnten nämlich viele Familien – die Volksschule lag aber in Siebeneichen auf der westlichen Seite des neuen Kanals“.

Die Seilzugfähre „SF 74“ Siebeneichen bei der Überfahrt über den Elbe-Lübeck-Kanal. Foto: Chr. Schumann, 2020
Die Seilzugfähre „SF 74“ Siebeneichen bei der Überfahrt über den Elbe-Lübeck-Kanal. Foto: Chr. Schumann, 2020

Und so wurden vor mehr als einem Jahrhundert aus den Geh- plötzlich Fahrschüler. Heute befördert die traditionsreiche Seilfähre schon lange keine Schüler mehr. Eine kleine Schule im 262-Einwohner kleinen Siebeneichen mit seinem idyllischen Ortskern besteht zwar immer noch bzw. seit kurzem wieder. Doch die Brücke beim nahen Büchen hat das Alltags-Transportmittel Fähre abgelöst. Umso mehr freuen sich Anwohner und besonders Wochenendeurlauber und Tagestouristen über die kurze Überfahrt: Für die rund 75 Meter von Ost nach West oder umgekehrt benötigt etwas mehr als 17 Meter lange Fähre etwa zwei Minuten. Im Einsatz ist das knapp sechs Meter lange Schiff in normalen Jahren von April bis 3. Oktober immer samstags, sonntags und an den Feiertagen. Corona-bedingt startete die laufende Saison erst im Juni.

 

Fähre im Corona-Jahr

Dabei stand hinter dem Betrieb ausgerechnet in der Jubiläumssaison lange ein großes Fragezeichen, denn die Aktiven vom Förderverein Fähre Siebeneichen e.V. wussten lange nicht, ob es sich überhaupt lohnen würde, die gelbe Fähre überhaupt aus dem Winterschlaf zu holen. „Das wäre wirklich schade gewesen“, sagt Olaf Murnau, während er den alten Faryman-Dieselmotor per Knopfdruck zum Leben erweckt. „Die SF 74 wird nämlich in diesem Sommer genau 60 Jahre alt – und die Route ja genau doppelt so viel.“ Das große Fest fiel dann zwar doch aus. Doch eigentlich ist jeder Tag, an dem die knapp zehn Pferdestärken des alten Schiffsmotors für ruhigen Vortrieb sorgen, ein kleiner Festtag, finden die neun ehrenamtlichen Fährleute. Nur Rainer Müller, der beim Kreis angestellt ist – dieser steht seit vier Jahren neben Förderverein und Gemeinde für den Unterhalt der seit 2015 als technisches Denkmal geschützten Fähre –, hat als Profi alle Fäden wie beispielsweise Einsatzpläne der Freiwilligen in der Hand.

Leise tuckernd gleitet die in Rendsburg-Saatsee gebaute Fähre unterdessen am Seil entlang von Ost nach West hinüber nach Siebeneichen. Das heißt: an zwei Seilen entlang, um genau zu sein. „Wir haben ein Antriebsseil, an dem der Motor die Fähre fortbewegt“, erklärt Murnau. „Und auf der anderen Seite liegt das Führungsseil, das uns auf Kurs hält.“ Beide sind jeweils 110 Meter lang und aus Stahl. In ›voller‹ Fahrt ist das Führseil stramm gespannt und schwebt knapp über der Wasseroberfläche. Im Ruhezustand oder bei passierenden Fracht- und Freizeitschiffen werden beide Seile gelöst und liegen dann auf dem Grund des Kanals in etwas zwei Metern Tiefe, damit querende Fahrzeuge ungehindert und sicher zwischen den Fähranlegern hindurchfahren können. Jetzt, wo die Fähre sicher auf Siebeneichen zustrebt, ist der richtige Zeitpunkt für den „Fährgroschen“: Die Überfahrt kostet nämlich eine Spende, die in den laufenden Unterhalt fließt. Die Sammelbox hängt in Corona-Zeiten an einem langen Stab – so bleibt der Abstand zwischen Fährmann und Fahrgast gewahrt.

 

Tagesrekord: 1152 Passagiere

Wieviele Gäste fahren? „Das ist ganz verschieden“, so Olaf Murnau. „In normalen Sommern sind es regelmäßig einige hundert am Tag.“ Der Tagesrekord an beförderten Gästen wurde im Sommer 2016 mit 1152 Personen erreicht. In diesem Jahr sind es weniger, obwohl die Region im Osten von Schleswig-Holstein mit ihrem üppigen Grün ein beliebtes Ausflugsziel für Radfahrer und Spaziergänger ist. Bis zum Fall der Mauer lang Siebeneichen im sogenannten Zonenrandgebiet – ein Glücksfall für Natur und Menschen.

Grün war es am Kanal bei Siebeneichen immer, erinnern sich ältere Anwohner. Bis in die 1950er Jahre durften zum Beispiel ansässige Kleinbauern den Kanaldamm landwirtschaftlich nutzen. Damals wurde auf beiden Seiten der Wasserstraße Heu gemacht. Vermutlich war auch eine leichte Beweidung mit Vieh erlaubt, doch das ist den Quellen zufolge nicht ganz belegt. Der Einsatz der Bauern war eine frühe Win-Win-Situation: Während diese sich über fruchtbare Wiesen freuten, brauchten sich Behörden und Fährleute nicht eigens um Pflege und Nutzung der Uferflächen zu kümmern. Heute beauftragt die zuständige Kanalverwaltung des Kreises Fachleute mit der Aufgabe – natürlich nicht kostenlos.

Wenige Sekunden später drosselt Murnau schon den kleinen Zwei-Zylinder-Motor. Der Anleger von Siebeneichen ist erreicht. Rainer Müller lässt die Rampe herunter, über die wenig später Auto und Räder rollen. Dann geht die Schranke hoch – freie Fahrt. Eine Pause können die beiden Fährleute aber noch nicht einlegen, denn es warten neue Passagiere auf die Querung der insgesamt 61 Kilometer langen Bundeswasserstraße. Also geht es wieder auf „kleine Fahrt“ hinüber. Auf eine kleine Fahrt, die ein großes Erlebnis ist.

Fährmann Olaf Murnau, der in diesem Jahr sein Fährpatent ablegen möchte, ist einer von neun Freiwilligen im Team des Fördervereins Siebeneichen, die sich um Erhalt und Betrieb der historischen Seilfähre kümmern. Foto: Chr. Schumann, 2020
Fährmann Olaf Murnau, der in diesem Jahr sein Fährpatent ablegen möchte, ist einer von neun Freiwilligen im Team des Fördervereins Siebeneichen, die sich um Erhalt und Betrieb der historischen Seilfähre kümmern. Foto: Chr. Schumann, 2020

HINTERGRUND

Die Seilfähre Siebeneichen überquert den Elbe-Trave-Kanal seit den Anfängen anno 1900. Ursprünglich war eine handbetriebene Seilzugfähre im Einsatz. Eines ihrer Seile hielt die Richtung, während das andere für die Vorwärtsbewegung zuständig war. 1960 wurde diese durch die motorbetriebene „SF 74“ abgelöst, die noch heute in Dienst steht und seit fünf Jahren als technisches Denkmal gilt. Bis 1986 war die Überfahrt kostenlos, dann erhob der Kreis Herzogtum Lauenburg als Betreiber ein Fährgeld. Damals gab es zwei festangestellte Fährleute. 2016 drohte der Fähre Siebeneichen die Einstellung, da dem Kreis der Betrieb nicht mehr lohnend erschien. Im Jahr darauf kam Entwarnung: Heute ist die „SF 74“ (kurz für Seilfähre 74) gesichert, nicht zuletzt dank des Fördervereins Fähre Siebeneichen e.V. mit derzeit neun ehrenamtlichen Fährleuten. Bei der Überfahrt hat die Fähre Vorrang vor allen anderen Wasserfahrzeugen, ob Binnenschiff, Paddelboot, Fahrgastschiff oder Sportboot. Mitfahren dürfen aus Sicherheitsgründen maximal 20 Passagiere.

Die Fähre Siebeneichen ist zwischen 1. April und 3. Oktober an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr im Einsatz. Die Überfahrt "kostet" eine Spende in beliebiger Höhe. Passagiere winken bei Bedarf – die traditionellen Fährglocken, die sonst weit hörbar ein Signal geben, werden derzeit restauriert.

 

faehre-siebeneichen.de