"Meeresdialog" bei Hagenbeck: Weg von Plastikverpackung und Hightech-Mode

Prof. Angela Köhler bei unserem Gespräch im Januar. Foto: Christoph Schumann, 2020
Prof. Angela Köhler bei unserem Gespräch im Januar. Foto: Christoph Schumann, 2020

Von Christoph Schumann

 

REPORTAGE Hamburg/Bremerhaven. „Wir alle haben es in der Hand: Nur wenn wir Verpackungsmüll und Textilien aus Kunststoff vermeiden, lässt sich die Spirale stoppen.“ Nur wenn jede Verbraucherin und jeder Verbraucher ein persönliches Zeichen setze lasse sich die steigende Verwendung von Plastik in den unterschiedlichsten Lebensbereichen durchbrechen, so Angela Köhler vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Derzeit würden weltweit rund 350 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr hergestellt, davon allein in Europa 60 Millionen Tonnen. Doch die Tendenz sei steigend: Experten rechnen mit einem Anstieg der Plastikproduktion auf eine Milliarde Tonnen bis 2050. „Das Verbot von Einwegplastik in der EU ab 2021 bringt da wenig“, sagte die Forscherin am Rande des dritten Hamburger MeeresDialogs im Januar dieses Jahres im Hamburger Tierpark Hagenbeck bei einem Gespräch mit mir. „Denn dies macht gerade einmal 400.000 Tonnen aus.“

Genuss mit Folgen

Köhler verwies eindrucksvoll auf die Gefahren, die das sich zersetzende Plastik in Form von winzig kleinen Partikeln besonders für Ozeane und Meeresbewohner bedeute: „Seit etwa vier Jahrzehnten wissen wir, dass von Menschen produziertes Plastik ins Meer wandert“, so Angela Köhler. Das sei zum einen sichtbarer Großmüll wie Tüten oder Flaschen, den Tiere wie Wale oder Möwen fräßen. Der bunte Kunststoff täusche Nahrung vor, die gefressen werde und sogar sättige. Doch die Funde seien erschreckend: „Rechnet man den durchschnittlichen Mageninhalt einer Möwe auf uns Menschen hoch, hätte jeder von uns 3000 Plastikteilchen im Magen.“ Weitaus gefährlicher aber seien Mikro- und Nanoplastik. Die Biologin erforscht die teils nicht einmal mit dem Mikroskop sichtbaren Teilchen mit einer Größe von 0,1 Mikrometern seit Jahren und kommt dabei immer wieder auf eindeutige Nachweise: „Wir finden die Plastikteilchen nicht nur in Magen und Verdauungstrakt von Fischen oder Muscheln, sondern auch in den Zellen“, so Köhler. Zwar schieden die Tiere einen großen Teil der ausgenommenen Fremdkörper wieder aus, doch über die Langzeitwirkung auf Meeresbewohner und Menschen sei noch immer fast nichts bekannt. Denn über die Nahrungskette gelangten Mikro- und Nanoplastik beim Verzehr beispielsweise von Fisch in den menschlichen Körper. Ein belgische Studie beispielsweise komme zu dem Schluss, dass ein durchschnittlicher Verbraucher im Jahr beim Genuss von Muscheln und Austern rund 11.000 Teilchen Mikroplastik zu sich nehme. „Über die toxischen und krebserregenden Auswirkungen lässt sich nur mutmaßen“, so Angela Köhler weiter. Selbst in Meersalz fände sich Plastik.

 

Gefahr durch Zusatzstoffe

Problematisch beim Einsatz von Kunststoff sei nicht nur das aus Erdöl, Gas oder Kohle produzierte Plastik selbst, meist Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP). Mindestens ebenso gefährlich seien Zusatzstoffe wie Weichmacher. Köhler: „Diese Additive rufen hormonelle Veränderungen hervor und können, einmal in die Umwelt gelangt, nachweislich Viren und Keime weltweit über die Meere transportieren.“ Ungeheure Mengen Mikro- und Nanoplastik gelange über das Abwasser in die Weltmeere, da die meisten Aufbereitungsanlagen die Partikel nicht filtern. Diese gelangten aber aus den verschiedensten Produkten hinein: „Mikroplastik wird zum Beispiel immer noch in Pflegeprodukten wie Zahnpasta oder Shampoo eingesetzt“, so die maritime Expertin. Hinzu käme Hartkunststoff aus industriellen Produkten wie Computern, Handys und Co sowie Schaumstoff bzw. Polystyrole aus Kartonagen oder Bechern. „Und nicht zuletzt gelangen Fasern und Partikel aus Textilien wie Hightech-Sportkleidung oder Fleecejacken in Natur und Meere“, so Köhler, die an die rund einhundert ZuhörerInnen appellierte: „Jeder Fleecepullover verliert pro Waschgang etwa 1900 Partikel. Die kann kein Klärwerk filtern. Deshalb muss bei jedem von uns ein Umdenkprozess starten: Wir Verbraucher müssen weniger Plastik verwenden.“ Dies gelte sowohl für die Entscheidung beim Kauf von Textilien und Kleidung, vor allem aber beim täglichen Einkauf: „Wir müssen Verpackungen und Verpackungsmüll schon im Ansatz reduzieren und etwa bei der Wahl von Käse, Wurst und anderen Lebensmitteln auf unverpackte Produkte setzen“, rät Köhler.

 

Recycling ist kein Ausweg

Recycling sei keine Alternative, da damit heute in der Regel weite Transportwege etwa nach Asien verbunden seien. „Der Umdenkprozess muss bei uns Verbrauchern anfangen. Wir alle haben bei jeder Kaufentscheidung die Macht, das Plastikproblem mitzulösen“, so Angela Köhler, die zum Abschluss eindringlich an die Politik appellierte: „Ich finde, in Deutschland wie in Europa fehlt der Mut, Verbote auszusprechen. Dass die EU Wegwerfprodukte wie Einwegprodukte verbiete reicht einfach nicht.“ Dabei vergaß Köhler nicht, kritisch auf sich und BerufskollegInnen in Wissenschaft und Medizin zu schauen. Sowohl in Laboren wie in Krankenhäusern sei in den letzten Jahrzehnten aus hygienischen Gründen verstärkt auf Einmalprodukte gesetzt worden. Hier müssten Alternativen etwa in Form von Glas gefunden werden. Und einen Beitrag müssten auf diejenigen leisten, die vom Meer lebten: Verlorene und sich zersetzende Kunststoffnetze von Fischern oder die Einträge von immer mehr Aquakulturen belasteten die Meere ebenfalls mit den gefährlichen Mikro- und Nanopartikeln.

 

Zum Hamburger MeeresDialog: die Umwelt-Veranstaltugnsreihe ist zurzeit wegen der Einschränkungen infolge der Coronavirus-Krise ausgetzt. Mehr dazu auf der Webseite des Tierparks Hagenbeck unter www.hagenbeck.de.