Nordisk Tang: Dänischer Tang auf den Teller

Produkt Tang-Pesto von Nordisk Tang. Foto: Christoph Schumann
Produkt Tang-Pesto von Nordisk Tang. Foto: Christoph Schumann

Grenå. Eigentlich könnte Bjarne Ottesen längst seine Rente genießen. Dass der 68-jährige Däne stattdessen in einem Alter, in dem andere Pensionäre den Winter im Süden verbringen oder sich um die Enkel kümmern, noch einmal umschulen und zum Firmengründer, Entwicklungschef und „Tang-Techniker“ werden würde – „darüber hätte ich vor vier, fünf Jahren noch den Kopf geschüttelt“, lacht der Chef von Nordisk Tang beim Ortsbesuch in seinem kreativ-chaotischen Büro im Gewerbegebiet in Grenå.

Doch der Reihe nach: Nach einem Lehramtsstudium arbeitete Bjarne Ottesen Jahrzehnte lang als Pädagoge. Als Leiter der kleinen Båring Højskole bei Middelfart auf Fünen kümmerte sich Ottesen intensiv um Zukunftsfragen und Nachhaltigkeit. Um die Jahrtausendwende auch ehrenamtlich als Präsident von Green Cross Danmark (GCD), des nationalen Ablegers der von Michail Gorbatschow gegründeten Umweltschutzorganisation Grünes Kreuz (GCI). Vor gut zehn Jahren begegneten sich beide auf einer Konferenz in Südafrika. An die entscheidenden Momente erinnert sich Ottesen noch genau: „Bei einem Ausflug blickten wir über den Atlantik und die riesigen Algenwälder. Da sagte Gorbatschow zu mir: ›Bjarne, das Meer mit den Algen ist die einzige ungenutzte Ressource, die wir haben. Da musst du etwas draus machen.‹ Und eher spontan und im Scherz antwortete ich, ja, das tue ich.“

Experimente am Anfang

Zurück zuhause spürte Ottesen, dass eine Idee, ja Aufgabe in ihm reifte. Weil der Schuldirektor mit seiner Familie auf der kleinen Insel Endelave vor Jütland im Kattegatt wohnt, fiel ihm nun bei jeder Überfahrt und jedem Strandspaziergang der Tang noch mehr auf als zuvor. „Ich begann Tang mitzunehmen und damit zu experimentieren“, sagt Ottesen, der sich Schritt für Schritt immer mehr Wissen zu Natur, Chemie und Nahrungsmitteltechnologie aneignete. „Ich fand anfangs, die Algen schmeckten gar nicht gut“. Doch dass Tang ein riesiges Potenzial als Lieferant für menschliches Essen ebenso wie als Tierfutter oder Düngemittel hat, erkannte der Lehrer, der plötzlich wieder Schüler war, schnell: „Algen haben viele positive Eigenschaften. Sie enthalten beispielsweise reichlich Omega-3-, 6- und 9-Fettsäuren, viel Vitamin B12 und K, sind reich an Proteinen und Mineralien, antibakteriell, haben Ballaststoffe und Antioxidantien – um nur einige Vorteile zu nennen.“ Die Inhaltsstoffe glichen denen der menschlichen Zellstoffe.

Ottesens erster geglückter Tang-Versuch verband zwei lokale Produkte: Die verarbeiteten Algen aus der Ostsee kombinierte er mit Vollkornmehl aus dem Getreide der Endelaver Bauern. Nicht viel, denn „zwei Prozent genügen, um den Geschmack des Mehls zu verstärken, das Brot besser gehen zu lassen und länger feucht und frisch zu halten“, weiß Ottesen. „Tang-Mehl“ gehört noch heute zu den beliebtesten Produkten von „Endelave Seaweed“, dem ersten Kleinunternehmen von Ottesen. Bald folgten Tang-Pesto und Tang-Öl, die als beliebte Lebensmittel ebenfalls noch im Angebot sind. Dass er ein Trend-Lebensmittel entdeckt hatte und eine Firma organisch wachsen muss, lernte Ottesen schnell. 2014 folgte der Umzug aus der heimischen Kreativküche ins 130 Kilometer entfernte Grenå und der Zusammenschluss mit Nordisk Tang im 130 Kilometer entfernten Grenå, das im Verbund mit Algenforschern des örtlichen Kattegatcenters ebenfalls mit dem neuen Superfood experimentierte. Ottesens Sohn Kristian übernahm die Rolle desGeschäftsführer und Marketingchef, Bjarne die des Ideengebers und Produktentwicklers: „Mein breites Wissen über Zuckertang, Lappentang und Flügeltang erlaubt mir, fünf Jahre vorauszudenken“ – anders als viele Gleichaltrige blickt Ottesen auch im siebten Lebensjahrzehnt hauptberuflich noch voraus.

 

Positiv für Mensch und Meer

Ab und an fährt Ottesen vor der Arbeit einen kleinen Umweg zum Strand am nahen Leuchtturm Fornæs Fyr, um etwas Tang zu ernten. „Aber das ist eher symbolisch. Wir verarbeiten heute zwei Tonnen Tang pro Woche – Bio-Algen von Lieferanten aus Dänemark, Norwegen und Island.“ Die sanfte Ernte habe positive Effekte für das Meer und verstärke Wachstum und Ausbreitung der Pflanzen. Diese wiederum nehmen große Mengen des Stickstoffs und Phosphors auf, dass Menschen ins Meer leiteten, und wandeln es in Proteine, Vitamine und Co. um.

Dass Nordisk Tang den Zeitgeist nicht zuletzt der umweltbewussten Städter trifft, zeigt sich bereits vor drei Jahren: Die Besucher eines Foodfestivals im dänischen Aarhus kürten das ungewöhnliche Tang-Pesto mit ihren Stimmen zum Publikumsliebling. Noch heute gehört die in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen erhältliche Zutat zu den „Klassikern“ im Programm von Nordisk Tang. Daneben finden sich Tang-Spezialitäten wie Tang-Öl, Tang-senf, Tang-Gewürze, Tang-Mehl, Tang-Rum und neuerdings auch Frisches wie Tang-Salat. Erhältlich sind die Tang-Produkte in ausgewählten dänischen Supermärkten wie Brugsen, in einigen Hofläden – und im Sommer sogar in einem Pop-up-Store in Berlin. Und natürlich im eigenen Onlineshop auf der firmeneigenen Homepage.

Sieben MitarbeiterInnen hat Nordisk Tang zurzeit. Die Nachfrage ist sowohl im In- wie im Ausland anhaltend groß. Das schlichte Industrie- und Lagerquartier des jungen „Start-ups“ bietet reichlich ungenutzte Kapazitäten. Dennoch setzt Ottesen auch beim Wachstum auf Nachhaltigkeit: „Wir möchten und werden wachsen, aber organisch – das braucht Zeit.“ Und die darf man sich im Rentenalter schließlich nehmen.

 

COPYRIGHT Idee, Text und Foto: Christoph Schumann, Hamburg, 2017/2018.

 

Am „Hausstrand“ von Nordisk Tang: Fornæs Strand bei Grenå. Foto: Christoph Schumann
Am „Hausstrand“ von Nordisk Tang: Fornæs Strand bei Grenå. Foto: Christoph Schumann