Von Christoph Schumann
PORTRÄT. Hamburg (cs). Die hellen Resopaltische stammen offenbar aus den 1960er Jahren. Die dunklen Holzstühle sind ein Mix aus 60ern und 70ern. Die grünen Cocktailsessel und der Sofatisch dazwischen müssen sogar noch aus den 1950ern sein. Auf den ersten Blick wirkt das „In guter Gesellschaft“ in der Hamburger Sternstraße wie eines der vielen anderen angesagten Retrocafés zwischen München und Flensburg. Doch spätestens, wenn der bestellte Kaffee auf dem Tisch steht, fällt auf: Irgendetwas ist im Café im trendigen Schanzenviertel anders. Denn Cappucino der Latte Macchiato werden nicht in Becher oder Tasse, sondern in Marmeladengläsern serviert. Statt Papier- gibt es Stoffservietten. Statt Plastikstrohhalmen solche aus Aluminium. An der hinteren Wand steht ein Büchertauschregal. Und „to go“ gibt es die Getränke hier auch nicht - wer Kaffee oder Latte genießen möchte, wird höflich gebeten, dies im Lokal zu tun. Anders ist auch die Speisekarte, auf der zum Beispiel die Abendbrotplatte „verschiedene Sorten Demeter-Biokäse, hausgemachtes Zwiebelchutney, hausgemachten veganen Aufstrich sowie Biobutter und -brot“ verspricht.
Alles ein bisschen anders
„Bei uns ist alles ein bisschen anders“, sagt Alana Zubritz. „Denn wer bei uns frühstückt oder einen Latte trinkt, produziert so gut wie keinen Müll.“ Der Grund: „In guter Gesellschaft“ ist eines der ersten Zero-Waste-Cafés in Deutschland. Die 33-jährige Zubritz und ihre Mit-Gründerin Ina Choi-Nathan, die zurzeit in Mutterschutz ist, kaufen alle Lebensmittel und Zutaten soweit wie möglich verpackungsfrei ein und achten auch bei Zubereitung und Verzehr auf Nachhaltigkeit, etwa durch die Verwendung klassischen Geschirrs. Bis auf einige Lampen und ein Teil der gastronomischen Geräte wie Barista-Maschine, Kühlschrank oder Herd haben die beiden Initiatorinnen die komplette Einrichtung ihres Cafés gebraucht zusammengestellt.
Erst Bank, nun Café
Weil Ina Choi-Nathan ihren Master in Nachhaltigem Design gemacht hatte und Alana Zubritz schon seit fast zehn Jahren rund um Themen wie Rettung von gebrauchter Mode und Nahrungsmitteln aktiv war, suchten die beiden Geschäftspartnerinnen lange nach einem passgenauen Konzept für ihre Ideen. „Ursprünglich wollten wir ein Kleidertausch-Café eröffnen“, erzählt Zubritz, die als Gastdozentin ihr Wissen rund um Nachhaltigkeit und Müllvermeidung auch an Hamburger Schulen und der Leuphana Universität in Lüneburg vermittelt. „Aber wir wollten davon leben können“, so Zubritz weiter. Deshalb gerieten Kaffee, Kuchen und kleine Gerichte in den Vordergrund. Dennoch winkten zunächst mehrere Banken bei der Suche nach einem Mikrokredit ab, so Zubritz weiter: „Erst eine Bänkerin, die Taucherin ist und das Plastikproblem kennt, konnten wir mit unserem Zero-Waste-Ansatz überzeugen.“ Nicht zur deshalb findet man Plastik darum im „In guter Gesellschaft“ nicht, seit es vor rund zwei Jahren losgehen konnte.
Noch nicht am Ende der Nachhaltigkeit
Dass Müllvermeiden auch bedeutet, mehr Zeit zu haben, verrät Gästen ein Blick in die Speisekarte: In der kleinen Küche des Cafés wird alles von Grund auf frisch zubereitet – und das dauert länger. „Wenn Ihr es eilig habt, dann tut uns das leid oder habt etwas Geduld.“ Denn nicht nur Brot oder Kuchen, auch Limonade und die übrigen Zutaten macht das kleine Team soweit irgend möglich selbst, sagt Alana Zubritz: „Das geht von der veganen Milch über Aufstriche und Marmeladen bis zu Feigensenf und mehr, weil wir unverpackt einkaufen. Mehl und Zucker kaufen wir papierverpackt. Das Gemüse kommt in Holzkisten von Erzeugern aus der Region, Getränke in Pfandflaschen. Nur bei manchen Zutaten stoßen wir noch an echte Grenzen, beispielsweise bei Gewürzen.“ Diese Frische und Regionalität sind der Grund dafür, dass das Prinzip Zero Waste bis zum Schluss gelte: Nur etwa einen Liter Restmüll produziere ihr Café in der Woche, meint Zubritz, „verschwindend wenig gegenüber der Gastronomie sonst“. Hinzu kämen wiederverwertbare Pappe und Biomüll, der schon bald in einer eigenen Anlage im Keller kompostiert werden soll. Was sonst noch anfällt, wird recycelt: Speisekarten werden zu Notizzetteln, Marmeladengläser zu Trinkgefäßen. Zubritz: „Es ist wirklich einfach, Müll zu vermeiden.“
Am Ende ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen sind Zubritz und Choi-Nathan allerdings noch immer nicht. Zubritz: „Wir möchten in absehbarer Zeit mit Blick auf die Klimabilanz gern ein rein veganes Angebot bieten.“ Doch auch dabei gehe es in erster Linie darum, zu zeigen, was möglich ist: „Wir denken in Kreisläufen und zeigen, was geht – das Thema muss Spaß machen, darum argumentieren wir nicht mit erhobenem Zeigefinger.“ Genau deshalb verwandelt sich das „In guter Gesellschaft“ auch einmal im Monat in eine Location, in der Alana Zubritz für die Nachbarschaft Zero-Waste-Workshops mit Upcycling-Tipps anbietet: „Neulich haben wir zum Beispiel unter dem Motto Müllfreie Körperpflege Deo selbst gemacht. Und beim Müllfreien Putzen ging es um die Herstellung von Waschpulver, Glasreiniger und mehr.“ Auch Kleidertauschabende gibt es regelmäßig, denn jede und jeder Einzelne könne schon im Kleinen etwas verändern. Die Zero-Waste-Philosophie endet im „In guter Gesellschaft“ nach dem getrunkenen Milchkaffee also nicht an der Cafétür.
Und hier findet Ihr das "In guter Gesellschaft":
Sternstraße 25, 20357 Hamburg.
Im Internet: http://in-guter-gesellschaft.com/
Stand Recherche: Frühjahr 2020