Verliebt in A bis Z – das Buchstabenlager Freundt in Hamburg

Buchstabensalat: Box mit Vintage-Wandtattoo „Soulkitchen“. Foto: Chr. Schumann
Buchstabensalat: Box mit Vintage-Wandtattoo „Soulkitchen“. Foto: Chr. Schumann

REPORTAGE Hamburg. Ein A aus Wien. Ein F aus Handewitt. Wandregale voller großer Fassadenschriftzüge. Kopfhohe Leuchtreklamen einer Achterbahn. Und kleine Schubladen, gefüllt mit Autozügen oder Drucktypen. Mehr als 1000 Lettern in allen erdenklichen Farben füllen die beiden Räume des Buchstabenlagers von Sabine Freundt in Hamburg. Mal sind es einige mehr, mal ein paar weniger – je nach Fundlage und Kundennachfrage. Gemeinsam mit ihrem Mann Yves sucht und sammelt die 41-jährige PR-Managerin gemeinsam mit ihrem Mann Yves seit mehr als zehn Jahren Buchstaben und Zahlen. Nicht alle behalten die beiden Nerds: seltene, kuriose und andere Stücke verkaufen sie über ihren kleinen Onlineshop.

Angefangen hat die Typo-Liebe des norddeutschen Ehepaares mit einem Besuch in Kopenhagen im Jahr 2002. „Damals fanden wir vormittags in einem Trödelladen in der Ravnsborggade zwei gusseiserne Buchstaben mit unseren Initialen S und Y“, erinnert sich Sabine Freundt. „Es war Liebe auf den ersten Blick. So schwer die beiden Lettern auch waren, wir sind den ganzen Tag mit ihnen durch die dänische Hauptstadt gelaufen.“ Aus der anfänglichen Spontaneität entwickelte sich allmählich nicht nur eine wachsende Hingabe zu außergewöhnlichen Zeichen, sondern auch eine Geschäftsidee: In skandinavischen Wohnmagazinen fanden sich bereits um die Jahrtausendwende Buchstaben als Wohnaccessoires. Gleichzeitig wollten die beiden Querdenker auch über ihre Partnerschaft hinaus ein gemeinsames (neben-)berufliches Standbein entwickeln – Yves Freundt arbeitet hauptberuflich als Bauingenieur im Hamburger Hafen.

– Sabine und Yves Freundt mit einem goldfarbenen S – ihrem ersten in Kopenhagen gekauften Buchstaben. Foto: Chr. Schumann, 2018
– Sabine und Yves Freundt mit einem goldfarbenen S – ihrem ersten in Kopenhagen gekauften Buchstaben. Foto: Chr. Schumann, 2018

Der Fundus wächst

„So kamen wir auf die Idee, unser Hobby Buchstaben auszubauen“, sagt Sabine Freundt, denn rasch entwickelten die beiden einen Blick für seltene Buchstaben und ungewöhnliche Raritäten – ob an Fassaden, Geschäften oder in Scheunen. Schon 2004 ging freundts.de als erster Internetshop für Buchstaben online. Geholfen hat dabei neben einer großen Portion Enthusiasmus vor allem Nachbarsjunge Felix, der nach der Schule ein Shopsystem programmierte. Sabine Freundt: „Man glaubt es jetzt kaum noch, aber von der großen Auswahl an Shopsystemen und Plattformen heute konnte man nicht einmal träumen.“ Umso mehr Herzblut und Handarbeit flossen in die junge Start-up-Firma mit ihrer selbst gemachten Technik. Dabei war die Auswahl an Buchstaben noch klein, das Sortiment überschaubar. Doch im Lauf von fast eineinhalb Jahrzehnten wuchs der Buchstaben-Fundus mit steigender Sammelleidenschaft immer mehr. „Man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen“, beschreibt Yves Freundt das vielleicht größte Geheimnis hinter dem Aufspüren seltener bis skurriler Buchstaben. Und die Neugier haben zu fragen. „Fast immer, wenn ich im Vorbeifahren irgendwo sehe, dass ein Laden schließt, frage ich nett nach den Reklameschriftzügen“, beschreibt Yves Freundt sein Erfolgsrezept.

 

Urlaub und Geschichten

So ist es meist, wenn Geschäfte umziehen oder schließen. Nicht selten nach Generationen. Ob Gaststätte, Bäckerei, Konditorei, Apotheke, Juwelier, Uhrmacher oder Kino wie das Hamburger Passage Kino, bei dem die Freundts ebenfalls fündig wurden – neben Inventar findet auch die Außenwerbung keine Verwendung mehr. „In den letzten Jahren gaben zum Beispiel besonders viele Metzgereien auf“, weiß Freundt, der mit seiner Frau auf Urlaubsreisen quer durch Deutschland, manchmal aber auch bei Ferien im Ausland wie in Frankreich, Italien oder den USA auf alte Reklamen stößt. Dies können Leuchtbuchstaben von Häusern oder Rummelplatz mit Neonlampen oder Glühbirnen sein. Meist handelt es sich aber um unbeleuchtete Werbeschriften aus den verschiedensten Materialien wie Zink, Blech, Porzellan, Kupfer, Kupferblech oder Gusseisen. Die Zeitspanne reicht dabei etwa von 1900 und alten Lettern der Berliner Schultheiss Brauerei am Prenzlauer Berg bis in die Gegenwart: „Wir haben bereits erste Buchstaben aus der HafenCity von Cafés oder Modeboutiquen, die aufgegeben haben“, so Freundt, für den jede Anfrage eine sensible Situation ist: „Wir erfahren immer die Geschichte hinter dem Geschäft, die oft sehr privat und familiär ist.“ Buchstaben als Spuren der Zeit.

Modernes ohne Charme

Junge, fast neue Buchstaben in ihrem Shop seien überwiegend aus Acryl hergestellt. „Die werden schnell gefertigt und haben keinen Charme mehr“, sagt Yves Freundt, „und man erkennt sofort, dass sie keine 70 Jahre halten sollen. Die Handwerkskunst von einst ist da nicht mehr gefragt.“ Außer bei den Freundts – und ihren Kunden, die wie das Ehepaar das Vintage-Design und Qualität schätzen. Wer zu den Kunden gehört? „Das können Privatleute sein, die ihre Initialen statt eines Fotos ins Regal stellen“, sagt Sabine Freundt. „Verliebte, die sich ihre Namen zur Hochzeit schenken. Oder Einrichtungsfans, die sich ihre Wohnung mit Wandtattoos mit ihren Lieblingswörtern oder unseren Vorschlägen wie ›Soulkitchen‹ oder ›Heimat‹ verschönern.“ Mehr und mehr finden aber auch Gewerbetreibende Geschmack an individueller Ausschmückung ihrer Umgebung: „ Restaurants sind darunter, aber auch Büros – und besonders gern Architekten“, sagt Yves Freundt. Sogar einige Zimmer eines jungen Hotels in Wien haben die Hamburger „durchbuchstabiert“.

Ihre Zukunft sehen die beiden Typo-Verliebten weiterhin im Internet. Der Buchstabenhandel soll ein Nebenerwerb bleiben. Zwar führen die Hamburger seit einigen Monaten einen kleinen Pop-up-Store in Berlin-Neukölln, doch dies bleibt eine Ausnahme.