Wenn Asta Nielsen wieder tanzt – Dänemark digitalisiert sein Stummfilmerbe

Das legendäre dänische Duo Pat und Patachon. Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen
Das legendäre dänische Duo Pat und Patachon. Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen

REPORTAGE Kopenhagen. Dänemark hebt einen seiner größten kulturellen Schätze. In den kommenden Jahren digitalisiert das Dänische Filminstitut mehr als 400 Spielfilme aus den Anfängen der dänischen Kinozeit vor rund 100 Jahren. Damit hat das nordische Königreich eine Pionierrolle bei der Erhaltung seines kinematographisches Erbes für das 21. Jahrhundert übernommen – noch vor anderen großen großen Filmnationen wie Deutschland, Frankreich oder Italien. „Wir sind europaweit die ersten, die Meisterwerke dieser Zeit, aber auch vergessene Perlen der Filmgeschichte für die Zukunft sichern“, freut sich Lars-Martin Sørensen von Det Danske Filminstitut (DFI) im Gespräch mit unserer Zeitung. Sogar das Filmland USA sei diesen Schritt so noch nicht gegangen.

Möglich macht die aufwändige Sichtung und Restauration ein Großspende von drei dänischen Stiftungen: A.P. Møller Fond, Aage og Johanne Louis-Hansen Fond sowie der Augustinus Fond stellen insgesamt 30 Millionen dänische Kronen, umgerechnet rund vier Millionen Euro, für das voraussichtlich bis 2021 laufende Projekt bereit. Hinzu kommen mehr als zwei Millionen Euro aus dem nationalen Kulturhaushalt. Insgesamt 415 erhaltene dänische Spielfilme der Blütezeit des Stummfilms zwischen 1910 und 1930 mit mehr als 350 Stunden Spiellänge sollen mit den Fördergeldern restauriert und digitalisiert werden, um in vier Jahren allen Cineasten und Kulturinteressierten kostenlos zur Verfügung zu stehen. Plattform dafür sind vor allem die Webseite „Danmark på Film“ (dt. Dänemark im Film) und die öffentliche Cinematek des DFI in der Gothersgade im Zentrum von Kopenhagen. Hinzu sollen ein neues Stummfilmfestival sowie Vorführungen in ausgewählten Kinos kommen. So werden große Namen wie der des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer, der unvergessene Werke wie „Die Passion der Jungfrau von Orléan“ („Jean d’Arcs Lidelse og Død“, 1928) schuf, Filmklassiker mit der legendären Schauspielerin Asta Nielsen wie etwa der von Peter Urban Gad verfilmte Verführungstanz „Abgrund“ (Afgrunden, 1910) oder die ebenfalls weit über die dänischen Landesgrenzen hinaus populären Vagabundenabenteuer des Komikerduos Fy & Bi bzw. Fyrtårn & Bivognen, das in Deutschland als Pat und Patachon Erfolge feierte, für kommende Generationen wieder zugänglich gemacht.

Die legendäre Asta Nielsen und Urban Gad. Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen
Die legendäre Asta Nielsen und Urban Gad. Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen

Gefährdet und gefährlich

„Dänemark war eines der ganz großen Stummfilmländer“, sagt Lars-Martin Sørensen, der sich als Forschungsleiter beim DFI verantwortlich um das Vorhaben kümmert. „Dänische Regisseure wie Dreyer haben ganze Scharen anderer Kreativer beeinflusst. Und Stars wie die als ›die Asta‹ bekannte Asta Nielsen zogen Hunderttausende in aller Welt vor die Leinwände.“ Darüber hinaus besaß die dänische Filmgesellschaft Nordisk Film in jener Zeit zahlreiche eigene Kinos südlich der Grenze. Wie überhaupt ein reger Austausch zwischen den Filmnationen bestand, sei es bei AkteurInnen, Regisseuren oder Drehbuchbautoren. Rund ein Fünftel aller zu digitalisierenden Filme liege gut gekühlt im dänischen Filmarchiv im Kopenhagener Vorort Glostrup, so Sørensen. Besonders gefährdetes und gefährliches Material aber in 55 Stahlkisten in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg: Die teils Nitratfilm gedrehten Streifen sind nicht nur aufgrund der allmählichen Zersetzung des Materials besonders schützenswert – sie sind auch im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich.

Je nach Nutzungsform werden die Filme seit Januar professionell in Glostrup in unterschiedlicher Qualität digitalisiert. Filmschätze, die „neu“ ins Kino kommen sollen, werden mit einem 4K-Sensor umgewandelt. Kürzere Spielfilme, die nur im Internet gezeigt werden, erhalten eine niedrigere Auflösung. Durchschnittlich kostet eine Stunde Digitalisierung rund 60.000 Kronen, also etwa 8000 Euro. Von der technischen Bearbeitung bis zur fachgemäßen und pädagogischen Vermittlung werden zwischen acht und zwölf DFI-Mitarbeitern bei jeder Digitalisierung involviert gewesen sein, schätzt Sørensen. Oft sei die Zeit für die Rekonstruktion nur schwer vorab einzuschätzen – einige Filme lägen in der vom Regisseur freigegebenen Endfassung vor, andere nur als abgenutzte Vorführkopie, wieder andere sogar nur in der Rohfassung. Für diese müsse unter Umständen sogar anhand von Drehbüchern oder Manuskripten eine komplette Neufassung erstellt werden.

Szene aus "Verdens undergang" von 1916 (dt. Der Untergang der Welt). Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen
Szene aus "Verdens undergang" von 1916 (dt. Der Untergang der Welt). Pressefoto: Dänisches Filminstitut DFI, Kopenhagen

Zeitlose Themen

„Diese Filme haben mehr als einen rein filmhistorischen Wert“, so Experte Sørensen. „Sie sind ganz aktuell und damit gesellschaftlich relevant. Denn ihre Themen handeln von Sex, Gewalt, Sklaverei, Drogenmissbrauch, der Verfolgung von Minderheiten oder Science Fiction. Die Darstellungsform ist anders, die Problematik aber ganz heutig. Und dann gibt es natürlich noch zeitlose Meisterwerke.“ Hauptaufgabe des DFI sei darum nicht nur die Digitalisierung selbst, sondern genauso die Vermittlung von Film und Form. Deshalb wird neben Stummfilmklassikern auch das Dokumentationsmaterial wie Programmhefte, Szenenfotos, Plakate und vieles mehr digitalisiert. Den Austausch von kreativen Köpfen und Ideen zwischen den beiden führenden Stummfilmnationen Dänemark und Deutschland untersucht darüber hinaus ein dreijähriges Forschungsvorhaben der Universitäten Kopenhagen und Köln. Lars-Martin Sørensen: „Wir sind stolz darauf, dass Dänemark dem Kulturgut Stummfilm weltweit als erstes Land so viel Aufmerksamkeit widmet.“ Alle Filme werden nach der Digitalisierung selbstverständlich weiter im Original archiviert. „Sie sind schließlich unser Basismaterial“, so Sørensen. „Wir könnten uns nicht im Traum vorstellen, sie jemals zu entsorgen. Unter anderem enthalten die Filmkanten wertvolle Informationen, die sonst verlorengingen.“

 

 

In Kürze

Im Rahmen eines Forschungs- und Vermittlungsprojekts digitalisiert das Dänische Filminstitut (DFI) bis 2021 alle 415 erhaltenen dänischen Spielfilme. Insgesamt umfasst das nationale Stummfilmarchiv rund 350 Stunden Material aus dem Bereich Fiktion. Schätzungsweise rund 20 Prozent der dänischen Stummfilmproduktion ist heute erhalten – den größten Teil vernichteten die Filmgesellschaften Anfang der 1930er Jahre mit Aufkommen des Tonfilms. Ziel des Projekts ist es, die teils vergessenen Filmklassiker auf der Leinwand in ausgewählten Kinos, in der Cinematek des DFI und Kopenhagen sowie im Internet auf der Webseite „Danmark på Film“ (dt. Dänemark im Film) des Instituts allen Interessierten frei zur Verfügung zu stellen. Das Geld für Aufarbeitung und Vermittlung des Kulturerbes stammt zum kleineren Teil aus dem staatlichen Kulturhaushalt (17 Mio. DKK, ca. 2,3 Mio. Euro). Der Hauptanteil von weiteren 30 Mio. DKK (ca. 4 Mio. Euro) erhält das DFI von drei renommierten dänischen Stiftungen. Eine Stunde Digitalisierung kostet laut DFI umgerechnet rund 8.000 Euro.

 

www.dfi.dk