Hamburg. Manchmal ist die Zeit reif für Veränderungen. Wenn das, was man seit langem tut – und das nicht einmal schlecht – nicht mehr so erfüllt wie anfangs. Wenn sich die letzte Leidenschaft im Alltag verliert. Und die Gedanken immer öfter nach neuen Herausforderungen suchen. Frank Pressentin erging es so. Rund zwanzig Jahre hat der Wahlhamburger nach seinem Studium als Sozialarbeiter mit psychisch Kranken gearbeitet, Hilfe und Lösungswege gegeben. „Mir hat das der Kontakt mit Menschen immer Spaß gemacht“, sagt der 41-Jährige, „doch besonders im Lauf des letzten Jahres habe ich gemerkt, dass ich mehr mit meinen Händen arbeiten möchte. Denn es ist etwas ganz Besonderes, am Abend das Ergebnis seiner kreativen Tätigkeit begreifen und sehen zu können.“
So verfiel der passionierte Angler vor einigen Jahren auf den Bootsbau. Funktionierte die alte Garage neben dem Reihenhaus im Hamburger Osten um zu einer kleinen „Werft“. Und begann mit Plänen aus dem Internet an der Konstruktion eines mehr als sechs Meter großen Doriboots, dessen hölzerne Urform aus der Zeit der Walfänger stammt. Fünf bis sechs Jahre ist der Autodidakt Pressentin schon dabei. In diesem Jahr soll endlich Stapellauf sein und die ersten Ausfahrten auf der Elbe gelingen. Tatsächlich trägt große Strom eine Art Hauptschuld daran, dass Pressentin sein größtes Projekt noch nicht vollendet hat: „Die Elbe war für mich schon in Kindertagen ein symbolischer Zugang zur großen, weiten Welt. Von Hamburg aus brachen Kaufleute, Entdecker, Piraten und Träumer auf. Und Kapitäne und Steuermänner hielten in ihren Logbüchern das Geschehen fest.“
So reifte in Pressentin die Idee, aus seinem Hobby und dem Umgang mit dem Naturmaterial Holz sowie einer Prise Seefahrtsgeschichte einen neuen Beruf zu machen. Die Idee zu „Elbwood“ war geboren. Vor wenigen Wochen eröffnete der Familienvater in der Hamburger HafenCity sein eigenes Ladenlokal: Die kleine „Writer’s Lounge“ am Kaiserkai liegt nur 200 Meter von der Elbphilharmonie, nur wenige Schritte vom Kreuzfahrtterminal und einen Katzensprung von der Elbe entfernt. Hier präsentiert der aufbruchsgestimmte Handwerker jetzt Hamburgern, aber auch internationalen Städtereisenden seine neuen Lieblingsstücke – exklusive Füllfederhalter und Kugelschreiber aus den klassischen Materialien, die aus dem Bootsbau stammen.
Verkaufsfertige Schreibgeräte zum Mitnehmen sucht man im Kontor allerdings vergeblich. Anhand von Musterexemplaren und Materialbeispielen aller möglichen Holz- und Metallkomponenten können Kunden sich aber ein individuelles Exemplar zusammenstellen. Seine Werkstatt hat Pressentin weiterhin in der Vorstadt, wo die frühere Garagen-Werft kurzerhand zum perfekten „Pen“-Zentrum, zur echten Schreibwerkstatt, genauer gesagt: Schreibzeug-Werkstatt ausgebaut wurde. Hier entsteht jedes Unikat dann in liebevoller Handarbeit. Beim Ortstermin an einem kalt-feuchten Wintertag bullert der runde Ofen wohlige Wärme in den überraschend reich ausgestatteten Arbeitsraum. Es riecht nach Holz und Öl. Metallspäne auf dem Boden zeugen von laufenden Projekten. „Ich fertige jedes einzelne Teil selbst und passend an“, schildert Frank Pressentin seine Arbeit, „vom Griff aus Holz für Füller bis zum Druck- bzw. Schraubknopf aus Holz für meine Kugelschreiber.“ Rund 400 Arbeitsschritte liegen so zwischen erstem Entwurf und fertigem Stift. Etwa sechs bis acht Wochen vergehen von der Bestellung bis zur Auslieferung – insgesamt gut zwei Tage je Unikat, Ruhephasen für das arbeitende Material Holz eingerechnet. Die Produktion bleibt deshalb auf etwa 100 Stück im Jahr beschränkt.
Freunde klassischer Schreibkultur haben bei „Elbwood“ die Wahl zwischen zwanzig naturbelassene Holzarten, die alle auch im Bootsbau zu finden sind – von heimischen wie Eiche, Birne, Apfel oder Ahorn bis zu exotischen wie Rosen- und Ebenholz oder Amaranth. Auch aus Naturkautschuk hergestellte Ebonit findet auf Wunsch Verwendung. „Beim Metall reicht der Palette von Silber bis zu Kupferlegierungen, die beim Guss von Schiffsschrauben verwandt werden“, weiß Pressentin. Mehrere Sägen und zwei Drehbänke machen aus den Rohlingen wahre Handschmeichler. Gelernt hat der Kunsthandwerker alle Arbeitsschritte bei Tischlern. Beim Umgang mit Metall ging und geht Pressentin immer noch gern in die Schule von Michael Pflüger, der in Hamburg-Eppendorf seine kreativ-kultige „Werkstatt für Allerlei Eigensinniges“ betreibt. Ihren letzten Schliff erhalten Pressentins Unikate – für er lediglich Schreibfedern in eigenem Auftrag, Tintenkartuschen und Minen zukauft – durch eine Leinölfirnis. Sie verleiht Tintenfüllern und Kugelschreibern eine weiche Glätte, die das Holz der Stifte lang anhaltend schützt und gleichzeitig stilvoll altern lässt.
Wer sich die im Computerzeitalter so altmodisch und überdies im besten Sinn des Wortes bei Preisen ab rund 1400 Euro je Kugelschreiber und etwa 1800 je Füllfederhalter kostbaren Schreibgeräte kauft? „Ich erlebe gerade, dass die Handschrift wieder eine Renaissance erfährt“, ist Pressentin überzeugt. Nicht nur in Ländern mit traditioneller Schreibkultur wie Japan, sondern auch hierzulande. „Zeitlos-funktionale Schreibinstrumente machen das Schreiben von Briefen oder Tagebüchern wieder zu etwas Besonderem. Etwas, das bleibt.“ In einer schnelllebigen Zeit wie unserer sei Schreiben von Hand ein Luxus. Eine Handschrift zeige Persönlichkeit, die ein persönliche Schreibgerät im besten Fall noch unterstreichen kann. Im Lauf des Jahres möchte Pressentin seine Stücke sogar noch lokaler machen: Sollte sein Doriboot startklar werden, könnte auch Treibgut aus der Elbe zum Werkgut werden.